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Laws of Form - Gesetze der Form

von George Spencer-Brown

Ariadnes Faden nicht mehr zur Hand
George Spencer-Brown zeigt Kindern die Realität und lehrt Leser die "Gesetze der Form"
Nicht nur Menschen, auch Bücher machen Karrieren, steile, unerwartete, umwegige. Letzteres gilt für die Gesetze der Form. Obwohl gleich bei Erscheinen 1969 in London nach einer löblichen Besprechung durch Heinz von Foerster zum Geheimtipp unter Kybernetikern, Biologen und Delphinforschern avanciert und Anlass für eine inzwischen legendäre transdisziplinäre Konferenz, die 1973 am Esalen Institut in Kalifornien stattfand ( das Protokoll dazu ist abrufbar unterwww.members.aol.com/lawsofform/index.html), war erst 25 Jahre später bei Suhrkamp eine deutsche Ausgabe geplant. Dass sie dort, obgleich die Übersetzung fertig war, nicht erschien, lag allein an der Blockadepolitik Spencer-Browns, der stur auf einer zweisprachigen Ausgabe beharrte - und die wiederum Suhrkamp nicht machen wollte.
Mit dieser vorzüglichen Übersetzung, vom Autor autorisiert, wird nun endlich mit jenem Mythos aufgeräumt, dass der "Formenkalkül" bloß ein Hirngespinst des Soziologen Niklas Luhmann sei. Wie kein anderer hat Luhmann diese Mathematik für die Theorie der modernen Gesellschaft fruchtbar und den Erfinder der "Gesetze der Form" hierzulande prominent gemacht. Schon deswegen ist der Bohmeier Verlag zu loben, dass es ihm gelungen ist, Spencer-Browns Vorbehalte einer deutschen Übersetzung gegenüber auszuräumen.
Wenn Spencer-Brown demnach nicht das Alter ego Luhmanns ist, wer ist er dann? Geboren wurde er 1923 in Grimsby/England. Nach dem Mathematikstudium unterrichtete er in Oxford Logik, ehe es ihn, unzufrieden mit dem akademischen Leben, nach London zog. Dort verdingte er sich als Ingenieur und Konstrukteur elektrischer Sicherheitssysteme. Unter anderem entwarf er Schaltkreise für Transistoren, die in neuen Computern Verwendung finden sollten. Auf die "Gesetze der Form" stieß er, wie er erzählt, als ihn mit seinem Bruder DJ von Britisch Railway der Auftrag ereilte, eine Zählmaschine zu konstruieren, die das Rangieren von Eisenbahnwaggons in einem Tunnel überwachte. Das Problem war, dass es bislang keine Maschine gab, die zugleich vorwärts und rückwärts zählen konnte, ohne das vorher Gezählte zu vergessen. Spencer-Brown bediente sich zu seiner Lösung der imaginären Zahlen. Sie bekommt man, wenn man aus negativen Zahlen die Wurzel zieht. In der Mathematik sind sie verpönt, weil sie keine eindeutigen Lösungen liefern, nämlich entweder zwei oder gar keine.
Die Zählmaschine, die Spencer-Brown entwarf und die er sich später patentieren ließ, erinnert sehr an die Turingmaschine. Spencer-Browns Maschine kann aber noch mehr. Sie kann das Gezählte als Gezähltes in das Gezählte wiedereintreten lassen, was Computern bislang (noch) nicht gelungen ist. Kein Wunder, dass Spencer-Brown bisher alle Begehrlichkeiten der KI-Forscher und Computerwissenschaftler nach universeller Berechenbarkeit abwehrt, der Intellektualität und Kreativität des menschlichen Beobachters hingegen das Primat erteilt: Computer können nämlich nur zählen, aber keine Beweise durchführen.
Die Verwendung imaginärer Werte kollidierte natürlich mit der klassischen Logik, die Selbstbezüglichkeiten, mit Hinweis auf das Widerspruchsprinzip ausschließt. Sie kam aber auch in Kollision mit den "laws of tought", jener Algebra George Booles, die Computern implementiert wurde. Spätestens seit Russell werden in der Logik derlei Fragen mit dem Hinweis auf Typendifferenzierung beantwortet: das heißt, man unterscheidet streng zwischen wahren, falschen und bedeutungslosen Aussagen.
Was aber sind die "laws of Form"? Mancher Leser wird, erschreckt über die mathematische Darstellung, das Buch sofort wieder schließen. Ihm wird für immer verschlossen bleiben, warum Spencer-Brown seine Demonstration einmal als "childrens guide to reality" bezeichnet hat. Demjenigen aber, der sich langsam und beharrlich tastend, durch die zwölf Kapitel mit den umfangreichen Kommentaren des Autors liest, wird es eine andere Weltsicht vermitteln.

Wie einst Gott

Intelligenten "sechsjährigen Kindern" ist diese neue Art des Sehens und Denkens laut Spencer-Brown sofort eingängig, Erwachsenen bereitet sie dagegen große Schwierigkeiten. Sie müssen erst all das verlernen, was die Erziehung ihnen über all die Jahrzehnte beigebracht hat. Aus diesem Grund hat er in London eine "Schule für hochbegabte Kinder" gegründet. Lässt man sich ein auf Spencer-Browns Kalkül, so wird man einer Mathematik gewahr, die mit ihren Operationen nahezu vorraussetzungslos - wie einst Gott - mittels Teilung bzw. Trennung des Raums ein Universum schafft. Man begreift, warum das Universum "just so" und nicht anders erscheint und warum alle Repräsentationen des Lebens (Mythen, Geschichten, Fabeln, Bilder) nur sich selbst erzählen.
Was aber sind die Ideen der Gesetze der Form? Die simpelste Anweisung ist, eine Unterscheidung zu treffen. Mit der Befolgung dieses Befehls werden nämlich zwei Zustände geschaffen, ein marked state und ein unmarked state, eine Zweideutigkeit, die sich in eine Dreiwertigkeit enthält: "Was das Ding ist, was es nicht ist, und die Grenze dazwischen." Mithin wird gleichgültig, was oder wie das Universum ist. Ein Rekurs auf Qualitäten, Größen, Gestalten und andere Seinszustände wie Dauer oder Entfernung wird genau so überflüssig, wie die Annahme eines "Dings an sich" oder das Beharren auf Negationen. Die Form, die Unterscheidung also, enthält alles, was sie braucht. Die Pointe des Kalküls ist nun, dass, wie die Zählmaschine zeigt, die Unterscheidung in die einmal getroffene Unterscheidung wieder eingeführt werden kann. Dieses Re-entry macht der Beobachter. Unweigerlich fallen damit Unterscheidung und Beobachter zusammen, das Unterschiedene kehrt unter Einschluss des Ausgeschlossenen in die Form zurück. Fortan ist es unwichtig zu wissen, ob ein Doghnut Konfitüre, Schokolade, Senf, alle drei oder gar nichts enthält. Mit Spencer-Browns Kalkül ist die Welt in der Lage, sich selbst zu sehen. Die Gesetze der Form zu exekutieren heißt seitdem, Theseus keinen Ariadnefaden an die Hand zu geben, der ihn aus dem Labyrinth führt.
Vielleicht ist es das Schicksal großer Bücher, dass sie, je häufiger sie zitiert werden über sie gestritten wird, von Apologeten - trotz Beteuerung von Entzauberung und Abklärung - zu Glaubenssystemen aufgespreizt werden. Auch Spencer-Brown ist nicht gefeit gegen den Fall ins Mystische, hat er sich doch selbst mit Buddha verglichen: dem allein und als erstem es vorbehalten war, die dreifache Einheit der Gesetze der Form zu entdecken.
Süddeutsche Zeitung, Nr. 169 25./26. Juli 1998, Rudolf Maresch, Seite V

Zusätzliche Informationen über Spencer-Browns berühmtestes Buch, als auch über ihn selbst - finden Sie auch hier:
Die Seite von Spencer-Brown mit seinen neuesten Arbeiten zum - Prime Limit Theorem - und zur - Proof of the (Georg Friedrich Bernhard) Riemann hypothesis -.
Weitere Informationen über die Geschichte des Buches
Laws of Form Site
Infos über Spencer-Brown
Informationen zu Spencer-Brown bei wikipedia.org
Informationen zu den Laws of Form bei wikipedia.org
This discussion of Laws of Form was led by George Spencer-Brown at the Esalen Institute in California, March 19-20, 1973


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