Die Geheimwissenschaften Asiens - Die Magie und Wahrsagekunst der Chaldäer
(Zwei Teile in einem Band)
von François Lenormant

Aus dem Vorwort:

Die Geschichte gewisser Formen des Aberglaubens bildet in den Annalen der geistigen Entwicklung des Menschengeschlechtes einen der wichtigsten, wenn auch seltsamsten Abschnitte. Denn wie töricht auch die schwärmerischen Äußerungen der Magie und Astrologie waren, wie fern uns gegenwärtig in Folge des allgemeinen Fortschrittes die Ideen liegen, die sie hervorriefen, sie haben immerhin lange Jahrhunderte hindurch, ja sogar bis auf naheliegende Zeiten einen so tiefen und gewichtigen Einfluss ausgeübt, dass sie vom aufmerksamen Forscher und Beobachter der verschiedenen Phasen des allgemeinen Bildungsganges gewiss nicht unbeachtet gelassen werden dürfen. Das Altertum vermochte selbst in seinen aufgeklärtesten Perioden nicht, dem Aberglauben ganz zu entsagen. Im Mittelalter herrschten die Geheimwissenschaften fast unbeschränkt, als ein Vermächtnis des heidnischen Aberglaubens, welches den Triumph des Christentums überlebt hatte; und es gelang erst der Neuzeit, diesen Wahn zu zerstreuen. Eine Verirrung, welche so anhaltend alle Geister, selbst die hervorragendsten, befangen hielt, und deren sich sogar die Philosophie nicht erwehren konnte, – die ihr zeitweise, wie bei den Neuplatonikern der alexandrinischen Schule, eine Hauptstelle in ihren Spekulationen einräumte, – darf daher von der Darstellung des allgemeinen Verlaufes der Ideenentwicklung nicht ausgeschlossen werden.
Es erscheint vielmehr angezeigt, sie mit Aufmerksamkeit zu prüfen und zu verfolgen, ihre Ursachen zu ergründen, ihre verschiedenen Gestaltungen zu beobachten und zugleich auch den Einfluss zu bestimmen, den sie abwechselnd von den religiösen Anschauungen der verschiedenen Völker und Zeitalter erfuhr, oder aber auf dieselben ausübte. Welchen Anteil hieran die unrichtige Auslegung von Tatsachen oder aber die Benutzung von wirklich vorhandenen, jedoch mit dem Schleier des Geheimnisvollen umgebenen Naturkenntnissen hatte, – ohne Zweifel eine der interessantesten Seiten der Geschichte der Geheimwissenschaften, – dieses mögen indessen Andere nachweisen.
Unsere Absicht ist nur, die Ursprünge der Magie an einer ihrer ältesten Stätten zu erforschen und ein Gemälde von dem zu entwerfen, was sie tatsächlich in Chaldäa gewesen ist.
Das einmütige Zeugnis des klassischen Altertums, sowie die jüdische und arabische Überlieferung, bezeichnen Ägypten und Chaldäa als die Wiege der Magie und Astrologie, welche, mittelst fester, theoretisch begründeter und systematisch geordneter Regeln zum Range von Wissenschaften erhoben, seit einem bestimmten Zeitpunkt an die Stelle der noch ungekünstelten und fast jeder äußerlichen Gelehrsamkeit entbehrenden Praktiken der ältesten Zauberer und Wahrsager traten.
Was die klassischen Schriftsteller und die heiligen Bücher über die Geheimwissenschaften dieser Länder von so uralter Gesittung berichten, erscheint aber ebenso unbestimmt wie zweifelhaft. Man weiß nicht, wie weit man diese Überlieferungen gelten lassen darf, auch vermag man nicht die besonderen Merkmale aus ihnen heraus zu erkennen, welche die Magie und die Astrologie der Ägypter von denen der Chaldäer und Babylonier unterschieden. Ebenso enthalten hierüber auch die orientalischen Schriftsteller des Mittelalters so viel Abenteuerliches, sie ermangeln in so hohem Grade des Geistes der Kritik und der Anzeichen der Glaubwürdigkeit, dass die Wissenschaft ihnen durchaus keinen Wert beizulegen vermag.
Die Entzifferung der ägyptischen Hieroglyphen und der Keilinschriften des Euphrat- und Tigrisgebietes, diese staunenswerte Errungenschaft unseres Jahrhunderts, bietet aber heute zur Aufhellung dieses so wichtigen Problems Hilfsmittel, welche noch vor fünfzig Jahren völlig außer Berechnung lagen. Wir können gegenwärtig die Geheimwissenschaften Ägyptens und Chaldäas an ihren ursprünglichsten Quellen studieren.
Die in ziemlichem Umfang erhaltenen Zauberbücher und astrologischen Tafeln, welche in Ägypten auf Papyrusblättern, in Chaldäa und Assyrien auf Tafeln aus gebranntem Ton (coctilibus laterculis, wie sie Plinius bezeichnet) dem zerstörenden Einfluss der Zeit widerstanden haben, lassen sich mittelst der Methoden der heutigen Sprachwissenschaft mit Sicherheit entziffern und enthüllen derart dem Forscher in unmittelbarer Weise die Lehren und angeblichen Geheimnisse derer, welche die griechischen und römischen Astrologen und Magier als ihre Meister anerkannten.
Manche schätzbare Arbeit ist im Verlauf der letzten Jahre den Urkunden der ägyptischen Magie gewidmet worden, insbesondere hat der hochverdiente, von der französischen Wissenschaft mit Recht so betrauerte Vic. de Rougé die astrologischen Tafeln der thebanischen Königsgräber erklärt.
Dagegen fehlt es noch immer an entsprechenden Publikationen bezüglich der Magie und Astrologie der Chaldäer, welche, wie fast alle priesterlichen Lehren Chaldäas und Babyloniens, von den Assyrern fast unverändert übernommen wurden. Der Grund liegt ohne Zweifel darin, dass die Assyriologie erst später aufgekommen ist als die Ägyptologie: Es fehlte bisher an Zeit, in entsprechender Weise ihr ganzes Gebiet zu durchforschen, so dass die Mehrzahl der Texte, die einer Deutung durch diese Wissenschaft harren, noch immer unveröffentlicht ist.
Der Ausfüllung dieser Lücke ist meine Arbeit gewidmet. Ich werde mit Hilfe der meist noch unübersetzten Urkunden zu zeigen und festzustellen versuchen, worin die chaldäische Magie bestand, welches ihre Künste und Lehren waren. Ich werde sie mit der ägyptischen Magie vergleichen, auf dass sich herausstelle, in wie fern sie von dieser abweicht und ihr Ausgangspunkt ein anderer ist. Ich werde die religiösen Anschauungen, die ihr zur Grundlage dienten, erforschen und dadurch ihren Ursprung und das ethnische Element, welches sie an die Ufer des Euphrat und Tigris verpflanzte, zu bestimmen suchen. Und diese Untersuchung wird mich schließlich zur Prüfung und Erörterung einer der wichtigsten Fragen veranlassen, welche die Entzifferung der Keilschrifttexte in die Wissenschaft einführte: das Problem der ursprünglichen turanischen Bevölkerung von Babylonien und Chaldäa.
In einer späteren Arbeit, zu der die Materialien zum Teil schon gesammelt sind, werde ich endlich alles das zu erforschen suchen, was auf die Astrologie der Chaldäer, das System und den Ursprung dieser angeblichen Wissenschaft der Priesterschulen, sowie auf die tatsächlichen Kenntnisse Bezug hat, welche Babylon und Chaldäa der Nachwelt vermachten und deren Erben wir auch heute noch sind.

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