Tantra - Ein Leben
Die zwölf geheimen Rituale der Dhyani-Buddhas und zwei weitere tantrische Rituale
von Andro

Tantra (...oder wie alles begann)
Aus dem Dunkel tauchten sie auf, die Begriffe von Shiva und Shakti, und auf dem Wege, sie zu verstehen, begegnete ich ihnen.
Tantra trat in mein Leben als Bild, in Form einer dünnen Fotografie eines indi-schen Tempels, 13 x 18 cm groß. Ich selber war damals zwölf Jahre alt und staunte über die vielen darauf abgebildeten Paare in den verschiedensten erotischen Stellungen.
Das Foto, ein dünner Papierabzug einer Schwarzweißfotografie, gehörte zum Besitz meines Großvaters, und mein Vater, den ich fragte, wo und was denn das sei, antwortete geduldig, daß es sich um Liebestempel in Indien handle. Wir machten uns beide, mein Vater und ich, Gedanken darüber, wie groß denn die Tempel gewesen sein mögen, denn es bestand ja die Möglichkeit, daß die Figuren eher kleiner als Menschen waren oder eben gleichgroß oder sogar größer.
"Es gibt Steinfiguren, die zwanzig, dreißig Meter groß sind", sagte mein Vater und deutete dabei auf eine unserer zehn großen Douglasfichten vor dem Haus, um mir diese Größe anschaulich zu machen, "so ein Penis muß da einen Meter groß gewesen sein oder mehr" sinnierte mein Vater und massierte sich den sonnengebräunten Arm.
Nach einigem Hin und Her einigten wir uns vorläufig darauf, daß die Darstellungen etwa halb so groß wie Menschen sein könnten, wenn wir den ebenfalls abgebildeten Eingang als eine leidlich hohe Tür ansahen.
"Wer sind die Leute, die sich da lieben?", war meine Frage und darauf blieb mein Vater die Antwort schuldig, er zuckte die Achseln und sagte "ooch, in Indien gibt es so viele Götter, es steht ja nicht dran, wer das ist." und er wendete das Blatt hin und her, doch auch die Bleistiftbeschriftung in Sütherlin auf der Rückseite gab darüber keine Auskunft, sondern nur darüber, wer die Fotografie meinem Großvater hatte zukommen lassen.
Mein Vater blätterte derweil in einem großen Bildband italienischer respektive römischer Graffitis aus Pompeji, aus dem ihm zuvor beim Durchblättern die Fotografie herausgefallen war. "Da sind auch lauter Liebesszenen in dem Buch", sagte er, aber beim Betrachten schienen sie mir doch viel mehr Pornographien für ganz ge-wöhnliche Menschen gewesen zu sein. "Da fehlt so was von sinnlicher Hingabe und stiller Verzückung" sagte er und tatsächlich schienen besonders die abgebildeten Frauen des Indischen Reliefs irgendwie glücklich auszusehen, im Gegensatz zu den Römischen Bildern, die ja auch keineswegs in einem Tempel gefunden wurden, sondern als Wandschmuck in ehemaligen Villen des reichen Pompeji.
Die Tempelbilder Indiens zeigten keinen häuslichen Alltag, sie zeigten ausschließlich die Hingabe an die Vereinigung. Wer waren nun die Abgebildeten, waren es historische Persönlichkeiten, waren es Götter oder mythische Gestalten oder Menschen?
Jahre später bekam ich einen Bildband über eben diesen Tempel in die Hand mit einer großen Anzahl von Abbildungen und Texten zu den Tempelszenerien. Da hießen die Abgebildeten Harphyen oder Nymphen, Shiva oder Shakti. Die Tempelanlage Kajurahos wurde als Tantratempel bezeichnet.
Noch blieben mir die Gestalten des Tempels fremd; auch gelang es mir nicht, herauszufinden, welches nun die wichtigen zentralen Abbildungen waren, welche der erotisch exorbitanten Bilder dem Basisrelief entnommen wurden und was waren dann die tiergesichtigen Männer mit Elefantenköpfen, die Gestalten mit drei Köpfen und die Frauen mit hundert Brüsten? Andere stellten deutlich historische Personen wie das Stifterpaar des Tempels dar.
Was war Phantasie und was wahr?
Auffällig war die Ähnlichkeit der Gesichter, gerade jener Frauen, die so hingegossen auf den Hüften der Männer schwebten in vollzogener Vereinigung mit einem ebenso schön gebautem Mann.
Wer also war Shakti, die Frau dieser Tempeldarstellungen, und wer war Shiva? Meine Versuche über Kunstgeschichte, Bücher, Lexika und philosophische Nachschlagewerke brachten mich nun vollends durcheinander, weil es da nun die unterschiedlichsten Shivas und Shaktis gab, die aber wiederum gar nicht auf den Tempeldarstellungen erschienen. So lernte ich aus diesen Büchern, daß Shiva daran zu erkennen war, daß er gleich Neptun oder dem Teufel der christlichen Mythologie einen Dreizack bei sich hatte, gewissermaßen als Handwerkszeichen wie eben einen Schäfer sein Hirtenstab schmückt oder dem Bischof bis zum Papst zu eigen ist.
Nackte schöne Männer mit Forke in der Hand waren Götter, und solche ohne? Bei den Shaktis war das nicht so einfach, sie hatten so viele mögliche Erkennungszeichen, daß es oft nur ein sicheres Zeichen gab, jenes nämlich, wenn sie mit einem Shiva vereinigt abgebildet war. Diese Frauen waren dann eben die Shaktis dieser Shivas.
"In Indien durften Götter also ficken" erklärte ich meinen erstaunten Schulfreunden, denen ich das Bilderbuch zeigte und die Diskussion um Maria und Josef und Gottvater und die Sünde tauchte auf in unseren Gesprächen.
Die Indischen Göttinnen schienen nicht entehrt durch einen sie durchbohrenden Penis, ja es schien so, daß Gläubige oder Anbeter dieser Tempel die sexuelle Vereinigung von Shiva und Shakti verehrten wie wir im christlichen Abendland die jungfräuliche Empfängnis, also die Unbeflecktheit Marias, somit geradezu die Abwesenheit der Sexualität Beweis für Göttlichkeit war, im krassen Gegensatz zu Indien.
Die westlichen Phantasmagorien geiler Moralapostel wurden vor diesem Hintergrund zu pathologischen Paranoiden und Maler wie Hieronymos Bosch zu einem geistig verwirrten Künstler, der seine Verwirrung sich vom Hals malte wie Van Gogh oder andere.
Wozu waren diese vielen Tempel gebaut worden ? Im Areal Kajurahos schienen es ca. 50 verschiedene Tempel und weitläufige Anlagen gewesen zu sein. Die Bücher der Archäologen gaben darüber keine oder nur sehr ungenügende Auskunft - diese Tantratempel waren jedenfalls nicht die vergrößerte Lustgrotte der Indischen Herrscher gewesen. Diese waren ebenfalls erotisch dargestellt, besaßen in diesem Tempel allenfalls so etwas wie eine Privatloge im Theater, ähnlich den barocken Fürstenkönigen Europas im 16. Jahrhundert.
Waren in diesen Tempeln Priester, welche die sexuellen Stellungen vormachten ?
Und was geschah innerhalb der Tempel im Allerheiligsten, wie sah der Altar der Lust aus, den es meiner jugendlichen Erwartung nach dort wahrscheinlich gegeben hatte ?
Die herrschende Tantrakultur 200 n. Chr. mitten im indischen Dschungel barg mehr Rätsel bei aller Offenheit ihrer Artefakte, gab keine Antwort auf die Frage, wer mit wem wozu da in oder außerhalb der Tempel die lustvolle Sexualität zelebrierte.
Unsere Tempel des Christenglaubens schienen Orgien des Leidens darzustellen als Ausdruck der Liebe, wohingegen der Indische Ausdruck der Liebe der glückliche Vollzug der sexuellen Vereinigung zu sein schien, jedenfalls im Tantrischen Kontext.
"Was ist das, das Leiden überwindet?". Wir sannen gemeinsam zu Hause darüber nach, weil meinen Vater der Auftrag für ein Wandsgraffiti beschäftigte, in dem der Zerstörung einer ganzen Stadt während des Zweiten Weltkrieges gedacht werden sollte. Die Stadt Pforzheim war vom Bombenangriff der Alliierten 1945 zu 90 % zerstört worden, und mein Vater wollte nicht nur den Horror zeigen, den Menschen in einem Feuerinferno erlitten hatten und der uns selbst bei drei Bombenangriffen auf Dresden und Berlin nicht fremd geblieben war, sondern da sollte eben auch das Leiden-Überwindende gezeigt werden, das Erheben aus dem Morast des Jahrhundertschutts. Nach einer Rede von Heuss zum Wiederaufbau unserer Stadt sagte mein Vater spontan " es ist die Liebe, weil sie das Gegenteil von Leiden ist." Und er skizzierte neben die Frau mit verzerrtem Gesicht, die ein kleines Kind an die Brust gedrückt hielt vor dem Hintergrund fliehender Menschen, denen die Flam-men im Rücken züngelten, ein nacktes, eng umschlungenes Liebespaar genau in Blickrichtung des schmerzverzerrten Frauengesichts.
Ich erzähle das, weil dieses umschlungene Liebespaar just ein bißchen ähnlich den Kajurahodarstellungen schien und weil der Ausdruck der Liebe zugleich die Quelle für neues Entstehen ist, gezeigt in dem Kind auf dem Arm der Frau. In der Diskussion der Stadtväter, welche die Bauherren des Wiederaufbauwohnblocks waren, wurde dann aber das umschlungene Paar wieder wegargumentiert. Mein Vater mußte es wieder wegradieren und murrte darüber, daß die Pfaffen mit ihrer Stimme über die Stimmen der Befürworter wie Erhard Dehler und der Bürgermeister gesiegt hatten. Die Mutter mit schmerzverzerrtem Gesicht stand jetzt alleine da wie eine moderne Mutter Gottes mit Kind.
"Wir sind eben nicht in Indien" befand meine Mutter, "hättest du eine Anthroposophische Lichtgestalt mit einem Menschen umschlungen wie einen Erzengel dargestellt, wäre es noch durchgegangen, so aber ist die Lust zu deutlich." Die Lust als negatives Prinzip, als Keim für alle Sünde, ist schließlich Kernsatz christlicher Moral und die soll angesichts eines Weltkriegsinfernos ja nicht verdreht werden.
Meine eigenen ersten Liebesabenteuer hatten nichts Verruchtes oder Verstecktes, ich fürchtete mich nicht, entdeckt zu werden, jedoch das Mädchen aus dem nahen Dorf, mit dem ich mich das erste Mal vereinigte, hatte panische Angst vor Entdeckung, die sie ohnmächtig werden ließ vor lauter schändlichem Schuldgefühl.
Lust vor dem Hintergrund der Schuld oder Lust vor dem Hintergrund der Erleuchtung ? Mit zwanzig Jahren, ich lebte seit zwei Jahren selbständig in der Millionenstadt Berlin, las ich zum ersten Mal ein Buch mit Beschreibungen Tantrischer Rituale. Hier wieder tauchten die Begriffe auf: Shiva, Shakti, Shaktismus, Shivaismus, Maithuna und Kundalini. Das Buch besaß keine Abbildungen und so setzte ich zu den Beschreibungen Bilder aus den Tempeln Kajurahos, wie ich sie kannte. Das Buch war von einem Anthroposophen geschrieben worden, der beständig darauf bedacht war, eine sexualisierende Sprache zu vermeiden und dennoch an dem sexuellen Vollzug der Rituale nicht rüttelte. In dieser westlichen Betrachtung eines Tantrischen Rituals wurde für mich erkennbar, daß erst in der Vereinigung - Maithuna - eine bestimmte Energie freigesetzt wird. Diese Energie ist es, die dich gleichsam wie ein Blitz erleuchtet und in der Indischen Mythologie Kundalini genannt wird."Mann und Frau gehen die Schlange wecken" - dabei dachte ich an die vielen Adam-und-Eva-Darstellungen der Kunstgeschichte und wie es nur einer Umkehrung der Vorzeichen bedurfte, um aus der Ursache allen Leidens genau dessen Gegenmittel, das heilende Elixier zu destillieren. Aus dem Sündenfall den Sprung in die Lust zu machen und damit auch in die Erkenntnis, daß Selbst-Bewußtheit und Verantwortung für die Lust und die Liebe, die wir in unserem Leben erfahren oder nicht erfahren, in unseren Händen liegen, wie der Apfel, der von der Weltenschlange gereicht, gegessen wird oder unberührt am Boden verfault - daß war es, was unter der Bezeichnung Tantra in mir heranwuchs und reifte. Und davon handelt dieses Buch.

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